Wir alle tun es täglich tausendfach. Entscheidungen treffen. Bei diesen Zahlen sollte man davon ausgehen, dass wir sehr geübt darin sind, Entscheidungen zu treffen. Und doch kennt jeder von uns Situationen, in denen es nahezu unmöglich scheint, eine Wahl zu treffen. Das kann schon morgens vor dem Kleiderschrank anfangen und bis hin zu wirklich fundamentalen Themen gehen. Gerade, wenn es ans Eingemachte geht, sind Entscheidungen immer wieder Thema im Coaching. Lass uns daher das Thema einmal von unterschiedlichen Seiten betrachten.
Diese Themen findest du im Blogartikel:
Was ist eine Entscheidung?
Unter einer Entscheidung verstehen wir jeden Prozeß und sein Ergebnis, der dazu führt, daß eine oder mehrere Personen sich darauf festlegen, eine oder mehrere Optionen gegenüber anderen Optionen zu bevorzugen. (Hubert Feger)
Auf den Alltag übertragen, gibt es ganz unterschiedliche Kategorien von Entscheidungen. Die Spanne reicht von den ganz banalen Entscheidungen, die förmlich automatisch laufen, über die, bei denen wir die Optionen etwas intensiver gegeneinander abwägen bis hin zu denen, die wirklich lange in uns arbeiten. Vielleicht bereiten sie schlaflose Nächte und wir brauchen mehrere Tage, manchmal Wochen, bis wir wissen, in welche Richtung es weitergehen soll. Von morgens bis abends treffen wir Entscheidungen. Von „Kaffee oder Tee?“ bis hin zu lebensverändernden Fragen wie: Wo will ich leben? Soll ich das Jobangebot annehmen? Will ich Kinder? Je weitreichender und unbekannter die Auswirkungen einer Entscheidung, desto schwerer fällt meist der Prozess. Wir spüren eine innere Zerrissenheit, sagen innerlich ein „Ja, aber…“.
An dieser Stelle möchte ich zwei Begriffe gegeneinander abgrenzen, die beide als „Entscheidung“ bezeichnet werden und doch unterschiedlich sind:
Auswahlproblem: A oder B? Eine Auswahl muss getroffen werden. A und B sind unabhängig voneinander. (Schoko oder Vanille?)
Dilemma: A und B sind kausal miteinander verknüpft. Entscheide ich mich für A wird B automatisch schlechter. Es gibt also etwas, was ich für A aufgeben muss, einen sogenannten Trade-off. (Kontrolle vs. Vertrauen)
Der Unterschied in der Komplexität wird mit der Begriffsklärung deutlich. Was nicht bedeutet, dass Auswahlprobleme immer einfach zu lösen sind.
Verstand oder Bauchgefühl bei Entscheidungen?
Bedürfnisse als Basis für Entscheidungen
Mein erstes Go-To, wenn es um Entscheidungen geht, sind immer die eigenen Bedürfnisse. Egal, ob hier die Bedürfnispyramide nach Maslow, oder die Bedürfnisse, die sich aus dem Reiss Motivation Profile® (RMP) ergeben, als Ausgangspunkt genommen werden. Die Fragen, die hier hilfreiche Informationen liefern, sind:
● Wo stehe ich gerade?
● Was brauche ich gerade?
Ein guter Ausgangspunkt ist das eigene Bauchgefühl. Denn unser Körper weiß oft sehr genau, welches der richtige Weg ist. Dazu kommt, dass unser Nervensystem deutlich schneller ist, als der Verstand. Vielleicht ist dir beim Kochen schon mal ein Messer aus der Hand gerutscht und du hast rasend schnell deine Füße weggezogen? Das ist eine Reaktion, die aus dem Nervensystem kommt und nicht aus dem Verstand. Bis das Gehirn diese Information verarbeitet hat, steckt das Messer schon im Fuß.
Super, dann hören wir doch ab jetzt einfach nur auf unser Bauchgefühl und alles ist gut! Oder? Die Problematik ist, dass wir verlernt haben, wirklich zu spüren, was sich in unserem Körper zeigt und diesen Empfindungen dann auch die passende Bedeutung zu geben. Das ist etwas, was Kinder noch sehr gut können, wir „Alten“ jedoch über die Zeit verlernen, weil kausalen Zusammenhängen, Analyse und Verstand eine viel größere Bedeutung beigemessen wird, als „diesen schwammigen, ungreifbaren“ Empfindungen. Wir üben nicht in ausreichendem Maß, unseren Körper zu spüren.
Verstand versus Bauchgefühl
Also doch eher eine Pro-Kontra-Liste schreiben? Doch eher das Hirn zermartern in der Hoffnung, dass sich neue Erkenntnisse zeigen? Hierzu zwei Aspekte:
● In Stresssituationen – und bei entsprechend wichtigen Entscheidungen handelt es sich definitiv um Stress – blockieren die Stresshormone den frontalen Cortex. Also das Hirnareal, in dem unser Verstand zu Hause ist. Das ist biologisch begründet, denn unser Stresssystem ist noch immer so aufgestellt, als lebten wir in der Steinzeit. Im Falle einer lebensbedrohlichen Situation geht es nur darum, schnell die eigene Haut zu retten und nicht darum, in Ruhe zu erörtern, welche Optionen ich gerade habe.
● Alle Informationen, die sich über den Verstand generieren lassen, beruhen auf Erfahrungen und Wissen aus unserer Vergangenheit. Unser Hirn kann meist nur Dinge denken, die schon einmal da waren. Das kann gerade in neuen und herausfordernden Situationen, die eine Entscheidung brauchen, einschränkend sein und dazu führen, dass wir uns im Kreis drehen und immer wieder die gleichen Gedanken entstehen. Vor allem, wenn wir alleine versuchen, Themen zu lösen.
Im Gegensatz dazu möchte ich noch folgenden Aspekt hier einbringen: Daniel Kahnemann hat sich in seiner Forschung mit Entscheidungsprozessen auseinandergesetzt. Im Jahr 2002 erhielt er dafür den Wirtschaftsnobelpreis. Hier eine kurze Zusammenfassung:
Der Mensch hat zwei unterschiedliche Denksysteme:
● System 1: unbewusst, schnell, emotional, und instinktiv
Vorteil: es ist sehr effizient und kann für alltägliche Entscheidungen und routinemäßige Aufgaben eingesetzt werden
Nachteil: es ist fehleranfällig und reduziert komplexe Zusammenhänge
● System 2: bewusst, langsam, analytisch und logisch
Vorteil: reduziert das Eintreten von Fehl- und Vorurteilen, ermöglicht fundierte Entscheidungen bei neuen Herausforderungen
Nachteil: ist sehr zeitaufwändig und ressourcenraubend
Was machen wir denn nun mit diesen Informationen? Diesem Widerspruch zwischen Bauch und Verstand?
Entscheidungen – so komplex wie der Mensch an sich
Was sich aus meiner Sicht bei der unterschiedlichen Sicht auf Bauchgefühl und Verstand zeigt, ist, wie komplex das Thema der Entscheidung tatsächlich ist. Vielleicht ist es auch Geschmackssache, welcher Ansatz einem näher liegt. Und für mich schließt sich direkt die Frage an: Ist es wichtig, die „richtige“ Theorie hinter Entscheidungen zu kennen? Also, hilft es mir bessere oder richtigere Entscheidungen zu treffen, wenn ich weiß, wie sie funktionieren? Oder bediene ich damit nur wieder meinen Wunsch danach, die Dinge zu verstehen, zu analysieren, ihnen einen Namen zu geben?
Aus meiner Sicht ist es viel interessanter, sich Phänomene anzuschauen, die sich im Zusammenhang mit Entscheidungen zeigen. Denn die haben wirklich Auswirkung auf die Weichen, die wir stellen.
Phänomene bei Entscheidungen
Verlustaversion: Neues fühlt sich unsicherer an, als Altbekanntes. Altes wird insgesamt positiver bewertet und Verlust von Bekanntem wird größer und schwerwiegender bewertet. Aus Sicht des Nervensystems lässt sich das so erklären, dass das Alte – egal wie unwohl ich mich damit fühle – kalkulierbar ist. Das Nervensystem weiß: „Ich kann hier überleben. Nicht gut, aber immerhin.“. Das ist besser als eine ungewisse neue Situation, in der noch nicht klar ist, ob das Überleben gesichert ist.
Ego Depletion: Je erschöpfter wir sind, desto mehr schwindet unsere Willenskraft und desto eher tendieren wir dazu „leichte“ Entscheidungen zu treffen, statt derer, die wirklich notwendig sind. Wir haben das Gefühl, das Thema endlich erledigt haben zu wollen. Vielleicht kennst du das auch, dass es mit fortschreitendem Tag beispielsweise schwerer wird, dem Keks zu widerstehen. Genau das ist Ego Depletion.
Decision Fatigue: Je mehr Entscheidungen wir tagtäglich treffen müssen, desto mehr leidet die Qualität unserer Entscheidungen. Bei geschätzten 20.000 Entscheidungen pro Tag macht es also durchaus Sinn, so viel zu vereinfachen, wie möglich, oder warum hatte Steve Jobs wohl jeden Tag das gleiche Outfit aus Jeans und schwarzem Rolli an?
Vermeidungsparadoxon: Das Bauchgefühl signalisiert ein klares Nein. Das kann auch eine unbegründete Angst vor dem Neuen sein. Wir denken, Vermeidung macht es besser, allerdings würde die Auseinandersetzung bzw. Konfrontation zu einer Verbesserung der Situation führen.
Nehmen wir diese Phänomene zusammen, dann zeigt sich, dass es sinnvoll ist, Entscheidungen in einem ausgeruhten Zustand und ohne Druck zu treffen. Für eine fundierte Entscheidung brauchen wir sowohl den Verstand, als auch das Bauchgefühl. Erst, wenn beides zusammenkommt, kann eine runde und stimmige Entscheidung entstehen.
Entscheidungen treffen
Warum müssen wir uns eigentlich entscheiden?
Macht es dann überhaupt Sinn, Entscheidungen zu treffen? Wenn eh nicht klar ist, ob sie richtig sind, ob sie uns weiterbringen, und zwar in die Richtung, in die wir wirklich gehen wollen? Ja, macht es. Denn für unser Hirn ist eine Schwebesituation so ziemlich das Schlimmste, was man ihm antun kann. Es mag keine Unsicherheit. Lieber trifft es eine vermeintlich schlechte Entscheidung, als einen Zwischenraum aushalten zu müssen, dem es kein Etikett, keinen Namen aufkleben kann. Unentschiedenheit verbraucht unglaublich viel Energie in unserem Körper, darum drängt uns unser Gehirn dazu, eine Variante zu wählen.
Geht es auch anders?
Vor einigen Jahren bin ich über das Buch „Das Experiment Hingabe“ von Michael Singer gestolpert. Er erzählt in diesem Buch aus seinem eigenen Leben und es scheint so, als ob er nie selbst eine Entscheidung trifft. Er schwimmt immer mit dem mit, was ihm das Leben vor die Füße spült, er gibt sich dem Leben hin. Und hat tatsächlich trotzdem (oder gerade deshalb) das, was man wohl als erfolgreiches und erfülltes Leben bezeichnen kann. Ganz ohne diesen Kampf „das Richtige“ zu tun. Mich hat das fasziniert und es schien so weit weg von meiner eigenen Lebensrealität, in der es natürlich darum geht, selbst am Steuer des Lebens zu sitzen, die eigene Entwicklung voranzutreiben, auskunftsfähig zu sein, wenn es darum geht, wo ich im Leben hin möchte. Doch Michael Singer hat nicht keine Entscheidung getroffen, sondern eine ganz grundsätzliche. Nämlich die, sich dem Leben hinzugeben und zu schauen, wohin es ihn führt. Nicht, dass ich das für mich vollständig übernommen hätte, aber ich erinnere mich in herausfordernden Situationen immer wieder gern an ihn und seine Geschichte und versuche etwas mehr zu fließen, statt so schwer zu ackern.
Entscheidungen im Coaching
Wie schon in der Einleitung geschrieben, sind Entscheidungssituationen immer wieder Anlass für Coachings. Jeder von uns weiß, wie schwierig es sein kann, nur mit den eigenen Erfahrungen und Werten neue Erkenntnisse zu erzielen, die einen wirklich weiterbringen. Da kann ein Blick von außen – vor allem, wenn der professionelle Hintergrund und die entsprechenden Tools zur Verfügung stehen – durchaus hilfreich sein. Doch auch im Selbstcoaching gibt es durchaus Möglichkeiten, die Perspektive zu wechseln und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Darum stelle ich hier ein paar Tools vor, die im (Selbst-)Coaching funktionieren:
● Fragen: Was hält mich? Was zieht mich?: Als stündest du in der Mitte zwischen den Optionen und jede hat ein Gummiband um dich gelegt. So bekommst du eine andere Qualität an Informationen geliefert, als aus einer Pro-Kontra-Liste. Die Erkenntnisse helfen dir, eine für dich stimmige Entscheidung zu treffen. Probiere es aus!
●Tetralemma: Statt nur die beiden Optionen A und B gegeneinander abzuwägen, mache auch die Optionen „beides“ oder „keins von beidem“ auf. Versuche über alle vier Varianten so viele Informationen wie möglich zu gewinnen.
● Entscheidungs-Waage: Hilft, die Varianten gegeneinander abzuwägen und berücksichtigt auch die o.g. Trade-offs: In die eine Waagschale kommen der Nutzen von A und die Kosten von B. In die andere Waagschale der Nutzen von B und die Kosten von A. So findest du heraus, welche Seite schwerer wiegt.
● systemische Aufstellung: Über Aufstellungsarbeit können völlig neue Informationen erlangt werden. Der Verstand ist erst mal außen vor und es geht rein um Körperempfindungen. Auch das Tetralemma kann als Aufstellung bearbeitet werden. In dem Fall empfehle ich Unterstützung duch einen Profi.
● Experiment: So tun, als ob: Tu doch einfach mal für einen Tag so, als hättest du dich für eine Variante entschieden und beobachte dich dabei. Wie geht es dir damit? Mache das gleiche Experiment auch mit der oder den anderen Varianten.
Jetzt hast du ein paar Ideen, wie du dich in Entscheidungssituationen selbst unterstützen kannst. Ich ermuntere dich dennoch, dir Unterstützung an die Seite zu holen. Und das am besten von einer neutralen Person. Partner*innen, Familienmitglieder oder Freunde haben häufig eine eigene Agenda und können aufgrund der emotionalen Verbindung nicht neutral bleiben. Dadurch kann sich der Entscheidungsdruck auch nochmals erhöhen. In einem geschützten, wertungsfreien Raum laut im eigenen Tempo denken zu dürfen, neue Fragen gestellt zu bekommen und alles erst mal da sein lassen, kann schon ein großer Schritt in Richtung einer Entscheidung sein.
Die Entscheidungen der Vergangenheit sind unsere Gegenwart, die heutigen Entscheidungen sind unsere Zukunft. (unbekannt)
PS: Entscheidungen sind meist direkt mit Veränderungen verbunden. Daher schau doch gleich mal in meinen Artikel „Ein Blick auf Veränderung“.
Ich bin Sabrina Besic, Coach* für (Neu)Orientierung & Selbstfürsorge.
Irgendwann habe ich durchschaut, dass mich mein
Leistungsdenken nicht voranbringt, geschweige denn
glücklich macht. Ich habe gelernt, mein Herz und meinen
Bauch zu integrieren. Über die Zeit habe mich intensiv mit meinen Lebensmotiven auseinandergesetzt.
Ich verbinde meine mehr als 10 Jahre Coachingkompetenz mit
meiner Leidenschaft für Themen rund um
Stressbewältigung, Selbstfürsorge und meinen eigenen
Erfahrungen, um dich bestmöglich zu unterstützen.
*systemischer Coach (anerkannt vom DBVC)
Reiss Motivation Profile Master
NESC-Coach